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Volksmusik


Das Volkslied ist in Bayern untrennbar mit dem Namen des Kiem Pauli verbunden. Wer war dieser Mann? Lassen wir den Kiem Pauli selbst erzählen:

"Man sagt, ich sei am 25. Oktober 1882 in München, in der Corneliusstraße, geboren und in der Heiliggeistkirche getauft worden. Ich weiß nicht, was mein Vater damals für einen Beruf hatte, und was sich sonst alles in diesem Gärtnerplatzviertel um diese Zeit zugetragen hat, und so will ich gleich von der Stätte berichten, von der meine ersten Erinnerungen ausgehen. Wir wohnten damals in der Heßstraße Nr. 72 und hatten dort ein kleines Milchgeschäft, das meine Mutter führte; die Milch bezogen wir aus Feldmoching. Meine Mutter habe ich nicht mehr so recht in Erinnerung, da ich sie im 6. Lebensjahr leider, leider verloren habe. Ein großer Efeustock fiel vom zweiten Stockwerk herunter und meiner Mutter auf den Kopf. Die Leute meinten, man solle doch die Schuldigen anzeigen, aber meine Mutter wollte diese sonst so braven Leute nicht unglücklich machen und so unterblieb die Anzeige. Meine Mutter war nun einige Jahre immer leidend, bis sie 1888 starb. Wir waren vier Buben, ich will sie dem Alter nach nennen: Ernst, Erich, Edmund und ich, der Jüngste, wurde damals noch Emanuel genannt... Mit dem Tod unser Mutter begann nun für uns vier unmündige Buben eine Jugend, die alles, nur nicht schön zu nennen ist..."

 

1903 gründete Michael Dengg die Tegernseer Bauernbühne, der Pauli wird als fester Musiker und Kassier angestellt und übernimmt kleinere Rollen. Es folgt eine Deutschlandtournee, ein längeres Engagement in Berlin. Durch diese Bühne kam Kiem an den Tegernsee und lernte hier den Dichter Ludwig Thoma kennen, der ihm Weihnachten 1919 das "Raspelwerk" von Karl Mautner, die vollständige Sammlung österreichischen Liedgutes schenkte. In dieser Stunde wurde der Kiem Pauli zum Missionar, es wurde ihm bewußt, daß er ausziehen mußte, um vom bayerischen Volkslied noch zu retten was zu retten war. "Es gibt Sünden, die man nie wieder gutmachen kann", schrieb er im Nachwort zu seiner 1934 erstmals erschienenen Sammlung "Oberbayerischer Volkslieder" ein wenig nachdenklich. Und so erklärte der Kiem Pauli der "greanen Hosntragermusi" den Krieg und trat mit Fahrrad, Notenpapier, Bleistift und Zither im Rucksack zum Kampf an - ein "Wünschelrutengänger, der darauf vertraute, daß im Boden seiner Heimat, diesem alten Boden von Bauern und Berglern, die verborgenen Brunnstuben der Tiefe noch nicht ausgetrocknet seien", wie der Historiker und Essayist Karl Alexander von Müller es etwas weniger militärisch beschrieb.

 

 

Aber lassen wir ihn selbst erzählen:
"Als ich nach dem ersten Weltkrieg 1918 zurückkam, nahm ich meine Tätigkeit als Musikant mit meinen beiden Freunden Reiter und Holl wieder auf. Rund um den Tegernsee war der Tanz obenauf. Von Paris brachten Leute moderne Musikinstrumente mit und sagten zu uns, daß wir nicht rückständig bleiben dürften, wenn wir leben wollten. Wir müßten uns umstellen usw.!" Es ist mir heute noch in guter Erinnerung, wie im Gasthaus zur 'Überfahrt' in Egern am Tegernsee anläßlich einer Tanzunterhaltung ein etwas rätselhaftes Wesen den Saal betrat. Gekleidet wie ein Mann, mit glatt zurückgekämmten, kurzen Haaren. So was hatten unsere Einheimischen noch nicht gesehen. Einige Minuten herrschte vollständige Stille, und mit allgemeinem Staunen sah alles auf das Mannweib! Eine neue Zeit trat in Erscheinung. Es dauerte nicht lange, dann feierte der 'Bubikopf' seine Triumphe, dazu kamen die modernen Tänze, gewürzt mit den meistens sehr sinnreichen Schlagerliedern. Mein Weg war mir klar und meine Kameraden waren ganz meiner Meinung. Ich verspottete mit selbstgemachten Liedern und Gstanzln die Auswüchse der einheimischen Bevölkerung, sang Almlieder, spielte mit meinen Freunden Landler, Mozart, Haydn, die alten Bauernmenuette, und es gelang uns, immer mehr Freunde zu gewinnen. Unsere Konzerte wurden von Bauern, Handwerkern, berühmten Musikern, Kapellmeistern, Opernsängern, Malern, Schriftstellern und Professoren besucht. Immer mehr sammelte sich um uns eine Gemeinde Gleichgesinnter. Dr. Thoma, Ludwig Ganghofer, Dr. Hirth, Kammersänger Slezak, Generalmusikdirektor Abendroth, Cellist Klengel, Burgstaller, Raucheisen und viele andere bedeutende Leute waren unsere Gäste. War das nicht ein Zeichen, daß wir auf dem rechten Wege wanderten? Es ist nicht gleichgültig, wie und wo sich unser Volk seine Unterhaltung sucht. Stillose Musikanten, kitschspendende Theater oder sogar Oberlandlerkapellen ohne Oberlandler und schweinerne Komiker, die in Ermangelung von Humor und Witz nur mit Niedrigkeit Erfolg suchen, können viel Schaden stiften. Wie viele reisende Truppen machen heute dem Namen Bayern nur Unehre und Schande! Muß das so bleiben?

 

 

Nun erlaubten es mir aber meine eigenen Mittel nicht, mich der Sache ganz zu widmen. Herumreisen und nur Geld ausgeben, das konnte ich mir nicht leisten. Thoma starb 1921. Wahrscheinlich wäre ich im Wollen steckengeblieben, hätten sich nicht zwei Wittelsbacher meiner angenommen. Herzog Ludwig Wilhelm in Bayern und Erbprinz Albrecht von Bayern gaben mir Heimat in Bad Kreuth und die finanziellen Mittel, die mir ein freies, sorgenloses Schaffen ermöglichten. Ihnen gebührt in erster Linie mein herzlicher Dank. Der Doktor auf der Tuften hatte es vorher offenbar in aller Verschwiegenheit gerichtet: Herzog Ludwig Wilhelm von Bayern, Herr in Wildbad Kreuth, und Prinz Albrecht von Bayern wurden auf den Kiem Pauli aufmerksam und hielten als Mäzenaten ein Leben lang die Hand über ihn. Frei von materiellen Sorgen, Wildbad Kreuth wurde fortan Fixpunkt seines Lebens, konnte der Kiem Pauli ans Werk gehen: Volkslieder zu sammeln und - vor allem - wieder zu verbreiten.

Seine erste Erkundungsreise führte ihn, mit dem Fahrrad in strömendem Regen, im Jahr 1927 über Waakirchen, Gaißach, Lenggries und Wegscheid in die Jachenau, es war der erste Schritt auf einem unendlich langen Weg. "Die ärmsten Leute und die größten Bauern, alle haben mich gleich freundlich aufgenommen", schrieb er einmal. "Wenn sich nach der ersten mißtrauischen Begrüßung herausstellte, daß ich kein Geld wollte und nicht vom Finanzamt war, dann war der Bann gebrochen, und es ist mir noch heute unvergeßlich, wie der alte Stangl von Holzkirchen zu mir sagte, nachdem ich eine Viertelstunde in seinem Haus war: "Mir is grad, als tat i di scho jahrelang kenna!" Er ließ sich - landauf, landab - von Austragsbauern und Benefizianten vorsingen, von Gendarmen, Wilderern, Holzknechten und Schullehrern; Notenblatt um Notenblatt rekonstruirte er das bayerische Volksliedgut, um festzuhalten, "wie das Volk denkt und fühlt. Denn Liebe, Haß, Ernst, derben Spott und Humor und tiefe Religiosität findet man in seinem Lied." Und den Leser seiner Liedersammlung bat er: "Sei nicht böse, wenn die Dichtung manchmal sehr primitiv oder etwas derb ist, aber wir wollen doch die Menschen sehen, wie sie sind, mit ihren Fehlern und Vorzügen!"

 

 

Bei Wanderungen von Hof zu Hof ist es natürlich nicht möglich, alle, die noch Liedkenntnisse haben, zu erreichen. So kam es beim Kiem Pauli zu dem Plan, einen Aufruf zu einem Preissingen ins Land zu schicken. Das Echo war unerwartet. Waschkörbe voller Einsendungen kamen als Antwort. Durch die vielen Zuschriften bekam er eine umfangreiche Zahl von Adressen zur Verfügung, und er bat, sämtliche Lieder zur Prüfung einzuschicken. Über siebenhundert Leute sind dieser Aufforderung gefolgt. Jeder wollte singen, jodeln. Fünfzehnhundert Briefe hat er eigenhändig geschrieben, bis die vierzig Gruppen feststanden, die am 29. und 30. März 1930 in der Überfahrt in Egern den Preisrichtern vorsingen sollten. Eine Heidenarbeit, von allen Anmeldungen das gesamte Lied-Material zu sichten. Die zugeschickten Lieder und die Übersicht über die gesamten Titel sind eigentlich das herausragende Ergebnis dieses Aufrufes. Dadurch haben wir heute einen Einblick in die Singpraxis, wie sie in den 20er Jahren in Oberbayern noch anzutreffen war. Die Fülle des gesichteten Materials ermunterte den Sammler Kiem Pauli, und so konnte das geplante Preissingen nur ein Erfolg werden.

Schon hundert Jahre vorher wurde ein ähnlicher Versuch in der Steiermark unternommen. Der österreichische Erzherzog Johann wollte bei seiner statistischen Erfassung der steirischen Gebirgstäler und ihrer Bewohner sämtliche Gewohnheiten in Brauch und Sitte kennen lernen. Dazu verfaßte der Erzherzog einen Appell an seine Landsleute, der hier ungekürzt wiedergegeben wird, da er heute noch dieselbe Gültigkeit hat: "Alles, was dem Vaterlande eigentümlich ist, soll jedem teuer sein. Nichts ist hierin zu gering, noch zu unbedeutend. Die Vernachlässigung, alles, was ersterem angehört, zu erhalten, hat gewöhnlich zur Folge, daß nach und nach jenes verlöscht, was an dasselbe gekettet, und Gleichgültigkeit und Lauheit eintritt.
In einer Zeit, wo Jagen nach Genuß, das Haschen nach Fremdartigem so mächtig einwirkt, wo Luxus, Mode und von diesen abstammende Unterhaltungen so einen tiefen, in das Leben eingreifenden Einfluß üben und so vieles, der Heimat eigenes, verschwinden machen, ist es notwendig, jenes zu erhalten, was uns noch angehört. Die alte Einfalt, abhängig von den eigentümlichen Sitten, das patriarchaische Wesen, unseren Haushaltungen eigen, mit allen seinen Verhältnissen, was hat diese erschüttert, was ist das schleichende Gift, das sie untergräbt? Unsere Landestracht, vom Bürger bis zum Bauernstande, schwindet täglich, unsere Ordnung und Sparsamkeit, wo ist die hingekommen? Eine kostbare, dem bodenständigen, schnellen Wechsel unterliegende Tracht, erweiterte Bedürfnisse ohne neue Quellen, um sie zu befriedigen, daher unverhältnismäßiger Aufwand, zerrüttete Haushaltungen, laxe, wenn nicht gar verdorbene Sitte und Moralität, Geringschätzung unser eigentümlichen Erinnerungen und Vergessenheit derselben." So wie vielen der Heimat angehörenden Eigentümlichkeiten, so ergeht es den Gesängen und Melodien des Landes. "Das Hochland der Steiermark besitzt gleich den meisten Gebirgstälern eigentümliche Gesänge und Melodien. Hier vorzüglich spricht sich der dem Volke ursprünglich eigene Charakter und Frohsinn aus, gepaart mit Gemütlichkeit."
Es sind Klänge, von denen die Alpen widerhallen, von Tal zu Tal bekannt, dem Volke teuer, dasselbe aufmunternd, sogar oft tröstend. Diese waren einst im Lande allgemein, nun hört man sie nur mehr im Hochland, unvermengt mit fremdartigen Weisen, in ihrer ursprünglichen Reinheit. Diese Klänge, die das Gemüt unseres Volkes so vielfältig ansprechen, zu bewahren, ist die Aufgabe. - Möge es als der erste Schritt betrachtet werden, neben dem sittlichen und geistigen Fortschritte auch wieder in so manches Alte und Gute einzulenken, wo es not tut.
Schottland gibt uns das Beispiel. Dort besteht eine Gesellschaft der Nationalmusik, welche Versammlungen hält und Preise verteilt. An ihrer Spitze sind Männer vom höchsten Adel und von hohen Verdiensten für das Wohl des Vaterlandes und für damit verbundene Erhaltung seiner guten Eigentümlichkeiten. Es soll nun auch in der Steiermark ähnliches geschehen. Diese Absicht ist es also, welche mehrere Mitglieder der Landwirtschaftsgesellschaft zu dem Entschluß bestimmt hat, die Feier des 2. Dezember dazu zu benützen, um auf die Erhaltung der vaterländischen Volksmusik in ihrer eigentümlichen Weise ermunternd hinzuwirken."

 

 

Für die Verwirklichung des Preissingens brauchte der Kiem Pauli finanzstarke Partner. Es waren ja viele Auslagen, die schon bei der Vorbereitung entstanden. Den Mitwirkenden wurden die Reisekosten ersetzt, Unterkunft und Verpflegung gratis geboten, dann die Ausgaben für Preise und Ehrengaben. Mit der deutschen Akademie war seit Jahren ein Kontakt durch Prof. Kurt Huber gegeben. So war jetzt vor allem die Beteiligung des Bayerischen Rundfunks zu sichern. Erst die Übertragung des Schlußabends in der Deutschen Stunde aus Bayern gab dem Preissingen das Echo, das für die Verbreitung der Lieder so entscheidend war. Der Anfang mit einer großen Volksmusiksendung im Rundfunk war schon im Jahr 1926 gemacht: ein Münchner Kellerfest, veranstaltet von Freunden altbayerischer Art, ausgeführt vom Kiem Pauli aus Rottach am Tegernsee.

Professor Kurt Huber hatte zu der angekündigten Veranstaltung in der Rundfunkprogrammzeitschrift "Süddeutscher Rundfunk" eine begeisterte Schilderung über das altbayerische Volkslied geschrieben. Nur ein Auszug: "Altbaiern im Liede? Der Fremde kennt es nicht, es sei denn in der sentimentalen Verzeichnung eines unwahren Salontirolertums, der Einheimische hat von seinem Reichtum und Wert kaum mehr eine Ahnung, so gründlich hat modische Musik und billige Gassenmelodik auch in den stillsten Bergtälern Einzug gehalten. Und dennoch lebt es noch, nicht in verstaubten Sammlungen, sondern mitten im Volke ein kräftiges, blühendes Leben. Davon hat mich vor Jahresfrist eine frohe Wanderfahrt überzeugt, auf der ich im Auftrage der Deutschen Akademie kostbare Schätze lebendigen Volkslieds auf die phonographische Walze bannen durfte, und noch mehr die Begeisterung, mit der des abends am Wirtstisch Jung und Alt die heimischen Weisen erklingen ließ. Vor allem aber lehren es prächtige Bauerngestalten wie der Staudacher-Martl von der Zell, oder der Kiem-Pauli von Tegernsee, die - selbst lebendige Liederbücher, die Tradition ganzer Gaue in sich vereinigen und weitergeben. ... (Kurt Huber wird 1943 von den Nazis ermordet)

Süddeutsche Sonntagspost, Nr. 13, 30.3.1930:
Im Gasthof "Zur Überfahrt" in Egern am Tegernsee findet heute, Sonntag, den 30. März, abends um 8 Uhr, ein volkstümlicher Sängerwettstreit statt, der weit über Bayerns Grenzen hinaus Beachtung finden wird. Dafür sorgen, außer den bayerischen Sendern, die Stationen Königs-Wusterhausen, Leipzig und Zürich, die die Übertragung ihren Hörern vermitteln werden. Die Veranstaltung geht von der "Deutschen Akademie", Ortsgruppe München aus, die im Verein mit der "Deutschen Stunde in Bayern" das Unternehmen ermöglichte. Es ist die praktische Fortsetzung der Pflege alten Kultur- und Volksgutes, das sich diese Institution zur Hauptaufgabe gestellt hat...
Es kam jenes 1. Egerner Preissingen im März 1930, das, glaub´ ich, keiner je vergessen wird, der das Glück gehabt hat, mit dabei zu sein, dieses neue leibhaftige Meistersingen am Tegernsee. Begeistert schrieb Karl Alexander von Müller als Augenzeuge seine Erinnerungen nieder. "Weißblau der Frühlingshimmel und weißblau die Fahnen beim Trachtenzug von der Kirche und weißblau die Lieder und die Herzen,- die ersten Kiemschen Preissänger, der Vögele und der Sonntheim, der Treichl und der Burda (mir kommt immer vor, wer diese vier Stimmen damals in ihrem ersten Zusammenklang nicht gehört hat, dem mußte was abgehen sein Leben lang) und die Geschwister aus Gaißach, und die Maierbuben aus Unterwallberg und viele andere. Und plötzlich fielen uns allen die Schuppen von den Augen, und wir wußten, einmal und für immer, was echt und was unecht ist!"

Und Karl Alexander von Müller fragt sich: "Ist es nur mir so gegangen, daß ich erst so spät erkannt habe? Hand aufs Herz, wer von uns Münchnern, wer von uns Altbayern hat wirklich schon immer genau gewußt, was echt ist -hat das nicht sogar der Kiem Pauli selber erst mit Hilfe von Ludwig Thoma gelernt? Wer von uns hat bis zu jenem Egerner Preissingen eine Ahnung davon gehabt, wie viel urlebendiges Singen, trotz allem Fremdenverkehr, in unsern Bergen noch unentdeckt da war? Von dem Tag an freilich haben´s viele andere auch gewußt - der Münchner Rundfunk hat damals ja die besten Gruppen übertragen, und aus ganz Deutschland, ja bis aus Schweden und Holland her, ist ein begeistertes Echo zurückgekommen. Und vor allem haben es die Egerner Preissänger alle gewußt und haben es nun mit dem Kiem Pauli weiter über unser Land hingetragen." Und es wurde nicht nur ein Riesenerfolg, seine Breitenwirkung ist auch heute noch zu spüren.

 

 

Über das Oberbayerische Preissingen schrieb der Eibl Sepp eine Dokumentation mit Schallplatte "Vermächtnis des Kiem Pauli". Dazu schreibt Herzog Albrecht von Bayern im Vorwort:
"Als einer, der das Wirken vom Kiem Pauli von Anfang an seit dem Jahr 1920 aus nächster Nähe miterlebt hat, freut es mich besonders, daß der Eibl Sepp dieses Buch über das unvergeßliche oberbayrische Preissingen von 1930 verfaßt hat. Am Ende vom ersten Weltkrieg ist es um das Volkslied in unserem Land wie um verlöschende Kohlenfeuer gestanden, die da und dort unter der Asche gerade noch unbeachtet fortglimmen. Es ist das unschätzbare Verdienst vom Kiem Pauli, diese gerade noch vorhandene Glut wieder angefacht und vor dem Verlöschen gerettet zu haben. Von entscheidender Wichtigkeit war dabei das von ihm veranstaltete Preissingen. Es war ein durchschlagender Erfolg und hat die Freude und die Begeisterung am Volkslied und an der Volksmusik in ungeahnter Weise wieder aufleben lassen. Der Kiem Pauli hat sein ganzes Leben dieser Aufgabe gewidmet, nicht nur aus Liebe zur Volksmusik, sondern vor allem auch aus Liebe zu unserem Land, zu unserem Volk und zu seiner Eigenart; und ein wesentlicher und erhaltender Teil dieser Eigenart ist die Musikalität uind die Freude an der Volksmusik. Eine große Sorge war dem Kiem Pauli, daß die Volksmusik nicht von Geschäftemachern für ihre Zwecke mißbraucht und dadurch geschädigt wird. Da war der gute Pauli unerbittlich streng und hat auch recht scharf werden können. Seine andere Sorge war der Nachwuchs an Musikanten, weil durch Radio, Platten etc. immer weniger Kinder Instrumente erlernen. Um so dankbarer bin ich, daß der Eibl Sepp nicht nur dieses schöne Erinnerungsbuch, das auch das Interesse an der Volksmusik anregt, verfaßt hat, sondern daß er auch tatkräftig die Ausbildung von unserem Musikantennachwuchs in die Hand nimmt und so die Bestrebungen vom Kiem Pauli im besten Sinn weiterführt."
Herzog Albrecht von Bayern

Nach dem Zusammenbruch organisierte der Kiem Pauli 1946 das Singen von Advents- und Weihnachtslieder in der zerbombten Residenz in München.

In seiner Stube in Wildbad Kreuth hat sich der Kiem Pauli eine ungeheuer wertvolle Fachbibliothek zusammen- getragen. Er war sehr belesen und konnte damit vergleichende Forschungen zum Volkslied anstellen. Fast alle wichtigen Werke der Volksliedforschung sind vorhanden. Dazu auch die Zeitschriften "Das deutsche Volkslied" (Wien) und "Jahrbuch für Volksliedforschung" (Freiburg). Diese Bibliothek ermöglichte ihm ein objektives Arbeiten. Zudem hat er in seine Bücher beim Lesen Bemerkungen geschrieben, die als Kommentare aus seiner Sicht gelten können. 1933 hat Kiem Pauli wohl für Prof. Dr. Kurt Huber eine Aufstellung seiner Bibliothek mit fünf Schreibmaschinenseiten angefertigt. Es waren 288 Titel. Besonderes Augenmerk sollte auf die handschriftlichen Liederbücher gerichtet werden, die der Kiem Pauli wohl von den Sängern erhalten hat und die er als wichtige Dokumente in seine Bibliothek aufgenommen hat. Es finden sich Liederhandschriften aus München, Tegernsee, Hundham, Au, Grafing, Kreuth, Dürnbach, Hausham, Kirchstigl u.a. oberbayerischen Orten darunter. Die Liedhandschriften gehen bis in die erste Hälfte des 19. Jhrs. zurück und geben Einblick in das Liedrepertoire der Sänger. Er sammelte auch alte Liedflugschriften und Flugblätter, gedruckte Liedertexthefte und alle anderen Zeugnisse des Singens. Nicht verzeichnet sind die von ihm ebenfalls gesammelten und in großer Zahl zusammengetragenen handschriftlichen Notenbücher der Musikanten für z.B. Klarinetten, Trompeten, Zither, usw.

Seit ca. 1924/25 suchte der Kiem Pauli zeitweise, von 1926 bis 1930 intensiv nach überlieferten bäuerlichen Volksliedern in Oberbayern. In seiner Heimat im Kreuther Tal wurde er bei den unterschiedlichsten Personen fündig. Es waren eingesessene Kreuther oder aus Österreich zugewanderte Jäger oder Arbeiterinnen. Somit gibt die Liedersammlung auch Aufschluß über das Singen im Kreuther Tal in den Zwanziger Jahren. Zusammen mit Kurt Huber veröffentlichte der Pauli 1930 in der Reihe "Landschaftliche Volkslieder" des Deutschen Volksliedarchives Freiburg als Band 23 das Heft "Oberbayerische Volkslieder" (Verlag Knorr und Hirth, München).
1934 gab er seine große "Sammlung Oberbayerischer Volkslieder" heraus. Dieses Standartwerk zum oberbayerischen Volkslied ist heute wieder als Neuauflage greifbar.

 

Es werd scho´tagelet, es werd scho´tagelet,
Es werd scho´tagelet, mei lieber Bua,
Werst müssen aufsteh´, werst müssen hoamgeh´,
Zammareameln Deine Schuah!

 

Unsere volkstümlichen Lieder in Ehren, aber angenommen, ein Schweizer Senne urechter Art soll mir sein Wesen, ja sein ganzes Volk im Lied nahebringen, dann will ich nicht "Dich, mein stilles Tal, grüß ich tausendmal" von ihm hören, sondern ein"Lied ohne Worte", womit ich einen jener unvergleichlich schönen Jodler meine, die Lust und Schmerz, Freude und Zuruf zugleich sind. Die anders sind in Tirol, wieder anders in Bayern oder in Kärnten und im Schweizerland. Im gutturalen Silbenwechsel kommt dort das alemannische Element deutlicher zum Ausdruck als in der vollendetsten Schriftsprache. Ein ehrlicher Volksliedforscher, Sammler und Pfleger kann im Grunde nur im eigenen, stammgebundenen Gebiet fruchtbare Arbeit leisten. Daher ist der Wunsch nach rührigen Heimatpflegern in allen deutschen Gauen begreiflich. Das Ohr muß gestimmt sein für die Laute der Heimat und das Herz muß warm schlagen für das Landl, das uns mütterlich im Arm hält. Das Erforschte - auch anderer Gebiete - ist für jeden, nicht nur den Bodenständigen, wertvoll und interessant. Es - regt zu vergleichen an, deckt Zusammenhänge auf und eröffnet dadurch neue Gesichtspunkte. Es ist eine große Tat, die uns zu dauerndem Dank gegen Professor John Meier verpflichtet, daß im großen Volksliederarchiv zu Freiburg jeder Landstrich deutscher Zunge seinen Volksliederschatz finden kann, soweit er schon gehoben ist. je mehr und je weitgreifender davon Gebrauch gemacht wird, um so erfolgreicher wird die Arbeit nach der anderen Richtung hin sein: nämlich die Wiederbelebung und Pflege des Volksgesangs. Ich glaube, daß diese Arbeit mindestens ebenso wichtig ist, wenn nicht noch wichtiger, als das Sammeln und Forschen. Denn das Ruhen in Archiven oder das Verarbeiten des kostbaren Materials zu neuen wissenschaftlichen Werken kann und darf nicht Endzweck alles Liedersammelns sein. Ich bin jahrelang mit meinem zerlegbaren Zitherl im Rucksack teils per Rad, teils zu Fuß in die entlegensten Dörfer gepilgert, auf einsame Höfe gestiegen, hab mich im Wirtshaus an den Ofentisch gesetzt, manche Zeche bezahlt und selber viel gesungen, bis ich aus meinen Landsleuten das eine oder andere echte Volkslied herausgelockt habe. Und ich habe erkennen müssen, wie wenig vorhanden war und wie viel verloren gegangen ist. Das meist kam mir dann zu, als ich im Jahr 1930 zu einem Preissingen in Egern am Tegernsee aufrief und Sänger und Lieder aus der Vergangenheit herausholte. Seitdem, das sind ja nun schon 25 Jahre, hat der Same gute Frucht getragen, und treue Freunde und Sänger helfen mir, daß immer weitere Kreise in diese Wiederbelebung mit einbezogen werden.

Mit Neid und Verehrung habe ich stets zu unseren großen österreichischen Vorbildern aufgeblickt. Den Weg zu ihnen wies mich Ludwig Thoma, der unvergeßliche Doktor. "Pauli Sie müssen unseren Volksliedern nachspüren, wie es die in Österreich mit den ihrigen taten!" Und er gab mir die Zeitschrift "Das deutsche Volkslied" des Deutschen Volksgesangvereins Wien, deren Jahrgänge ich mir alle beschaffte und weiter bezog von 1899 an. Prof. Dr. Josef Pommer wird stets mein großer Lehrmeister bleiben. Nichr minder die anderen hochverdienten Österreicher, deren Namen unvergessen sein sollen, auch bei uns: Liebleitner, Kronfuß, Poeschl, Klier, Fraungruber, Mautner, dessen einmaliges "Raspelwerk" mir Ludwig Thoma schenkte, Zack und nicht zuletzt der große Volkskundler Viktor von Geramb und der Mann des Volkstanzes Raimund Zoder, mit denen mich heute noch die herzlichste Beziehung verbindet. Der bajuwarische Stamm ist nicht an die weißblauen Grenzpfähle gebunden. er umfaßt das bayrische Fünfeck vom Böhmerwald zum Alpenrand und sitzt fest in Kärnten und Steiermark. So kommt es, daß unsere Lieder eine Einheit bilden. Sie kommen aus derselben Wurzel, an ihren Blüten aber zeigen sie den "bunten Abglanz", an dem wir, nach Goethe, das "Leben haben".
Tauchen wir nun von diesen unserem speziellen Volksliedbereich hinab in die großen Werke, die uns Herder und Goethe, Erk und Böhme, Brentano, Uhland u. a. geschenkt haben, so wissen wir, daß nicht nur im alpenländischen Raum, nicht nur in Bayern die Bächlein des echten Volkslieds sprudeln, sondern daß allenthalben in deutschen Landen Quellen darauf warten, daß die rechte Hand an den Felsen schlage.

 

Am Namenstag des Kiem Pauli am 29. Juni 1933 sangen in der Badkapelle in Wildbad Kreuth die Riederinger Sänger zum erstenmal die "Deutsche Bauernmesse", die Annette Thoma für sie zusammengestellt hatte. Auf Melodien aus der Überlieferung (z.B. Weihnachtslieder aus der Zeitschrift "Das deutsche Volkslied") hatte sie Texte passend zur gültigen Liturgie der Dreißiger Jahre gemacht. Kiem Pauli war sehr nachdenklich ob dieser neuen Sache. Die "Deutsche Bauernmesse" hatte schon in den Dreißiger Jahren ihre Befürworter und Gegner, nach dem 2. Weltkrieg fand sie große Verbreitung in den Kreisen der Volksliedgruppen und Volksliedfreunde. Annette Thoma ließ die Lieder mit Zwischenspielen beim Verlag Hieber (München 1947) drucken. Nach dem zweiten Vatikanischen Konzil paßte sie Ende der Sechziger Jahre ihre Bauernmesse den neuen liturgischen Möglichkeiten an, doch die Volksliedgruppen blieben bei der "alten" Form.

 

 

Der Kiem Pauli schreibt "vom echten Volkslied": Ich weiß nicht, soll man es als gutes oder schlechtes Zeichen deuten, daß heute mehr als früher über unser Volkslied geredet und geschrieben wird. Früher! Ja, da war es eine Selbstverständlichkeit, die nicht weiter besprochen wurde. So wie die Großmutter das Lied von ihrem Ahnl gehört wurde, so gab sie´s weiter an den Raum, in dem sie das Jüngste des Hauses einheidelte. Die Kleinen, die rundum saßen und spielten, nahmen es so auf, wie sie die Lebensluft des Hauses einatmeten. Da ist nichts aufgeschrieben worden, Noten hat ohnehin niemand gekannt, und so wie der Vorgang in der Bauernstube war, wiederholte es sich auf den Almen, in den Spinnstuben, ja im Stall und in der Werkstatt, beim Heimgarten und auf der Hausbank. Inzwischen sind die Zeiten anders geworden, Wirtschaft und Technik haben uns Erleichterung gebracht, haben aber auch manches verdrängt, was gut und schön war. Wir mochten aber dieses Gute und Schöne, soweit es Träger unserer Volkskultur ist, doch erhalten, ja wir haben die Pflicht, es zu erhalten, weil wir wissen, daß mit dem Verlust jener Gepflogenheiten, die wir Bräuche nennen, allmählich auch das verlorengeht, was diese Bräuche ausdrücken: unsere Ursprünglichkeit, unsere Einstellung gegenüber den Dingen und Geschehnissen, die Welt-Anschauung vom heimatlichen Standpunkt aus und anderes wertvolles Vätererbe, die Gestaltung unseres Arbeitstages und unserer Feste sowie die Bindung an die natur und an den, der sie geschaffen hat.
"Volkslieder sind der Spiegel der Seele", schrieb einmal Professor Dr. Kurt Huber (wegen seiner aufrechten Haltung hingerichtet im Juli 1943), der große Musikwissenschaftler, mit dem mich schöne Zusammenarbeit und herzliche Freundschaft verband. Wir denken bei diesem Wort an das echte, das bodengewachsene Volkslied, das zum Menschen gehört wie die Welt, in der er lebt: die Berge und die Heide, der Troadboden und das Moor, der hohe Wald, die Düne, das Meer. Wort und Ton bezeugen diese Zusammengehörigkeit deutlich. Wenn wir die auf- und niedersteigenden Koloraturen eines älplerischen Jodlers hören, dann steigen vor unserem Auge die jähen Gipfel unserer Berge auf, während ein Volkslied aus der Heide oder dem Marschland sanfter hingleitet und oft von leiser Schwermut überhaucht ist. Wir nennen darum diese wurzelechten Volkslieder im eigentlichen Sinne und möchten sie nicht mit den allgemeinen deutschen Volksliedern verwechseln, die im Grunde volkstümliche Lieder sind. Es sind dies die schönen Lieder des gesamten deutschen Sprachgebiets, wie "Sah ein Knab ein Röslein stehn", "Am Brunnen vor dem Tore" und wie sie alle heißen. Feinsinnige Dichter und Komponisten haben sie verfaßt. Sie sind das "klingende Band", das alle deutschsprachigen Länder und Völker verbindet, sie werden in Wien nicht anders gesungen als in Luzern oder Bremen, und wer einmal einen in der Fremde getroffen hat, mit dem er "O Täler weit, o Höhen" singen konnte, der weiß, wie glücklich diese Lieder machen können. Es sind deutsche Lieder im Volkston, volkstümliche Lieder.
Echte Volkslieder dagegen wachsen frei heraus aus dem Volk. Man kennt weder Dichter noch Komponist. Wohl hat sie einmal einer ersonnen, aber das war ein Irgendwer, ein lustiger Bauernmusikant, ein verliebter Holzknecht, ein Dorfschullehrer oder Mesner, ein Arbeiter, ein Fuhrmann, halt einer, dem Sinn und Ton so lang im Herz klangen, bis sie sich aus der Kehle sangen. Von jeher haben sich diese Lieder mündlich fortgepflanzt in der jeweiligen Mundart derer, die sie hörten und nach der Melodie, die im Gedächtnis haften blieb. Daher die unglaublichen Abwandlungen von Wort und Ton, die wir schon zwischen benachbarten Tälern feststellen können! Beim Liedersammeln finden sich wohl noch hie und da "geschriebene Liederbüchl", wo der eine oder andere Liederfreund alles zusammengekritzelt hat, damit er´s nicht vergesse. Aber Noten sind sehr selten zu finden, der Forscher muß sich meist an die Überlieferung halten. Im allgemeinen erhalten sich diese Lieder dort, wo sie verstanden werden, wo sie sozusagen Muttersprache sind. Sie gehen aber merkwürdigerweise auf die Wanderschaft und passen sich dann dem Boden, dem Klima und der Sprache an, in die sie verpflanzt wurden. Es wurden in Skandinavien schwedische Volkslieder gefunden, die nachweislich ihren Ursprung im Alpenraum haben und vermutlich durch Tiroler Handschuhmacher nach dem Norden kamen. Das "Haidlbubaidl" aus einem unserer bekannten Wiegenlieder wird auf griechischen Ursprung zurückgeführt, hat sich aber unserer Mundart völlig einverleibt.
Wir dürfen nicht übersehen, daß beim Volkslied auch dem Wort eine hohe Bedeutung zukommt, nicht nur der Weise! Das wird oftmals übersehen. Mundart ist ja schon an und für sich Musik. und ich kann mir kein innigeres Tagelied denken als die morgendliche Aufforderung des Mädchens:

Diese Zeilen des Kiem Pauli, geschrieben um 1955, geben Antwort auf die Frage: kann die sogenannte modernisierte oder besser gesagt verjazzte Musik bayrische Volksmusik sein? Für mein Dafürhalten nicht. Ich kann die afrikanischen und amerikanischen Menschen selbstverständlich tolerieren, aber ich kann mich nicht in sie hinein versetzen, es sind nicht meine Wurzeln und nicht mein Umfeld. Wie der Pauli schreibt, bei einem Jodler sehe ich Berggipfel, Almen und Täler vor mir, keine Savanne und keine Baumwollfelder. Doch die bayrische traditionelle Volksmusik überlebt sicher auch diese Auswüchse.

Der Kiem Pauli starb am 10. September 1960 um 1 Uhr im Sanatorium Wildbad Kreuth. Herzog Ludwig Wilhelm und Dr. Kölwel waren bei ihm. Am 13. September wurde der Pauli im Kreuther Bergfriedhof beerdigt. Die Anteilnahme der Bevölkerung war sehr groß. Kirche und Friedhof waren voll von Kreuthern; Sänger und Musikanten gaben das letzte Geleit. Seitdem findet alle Jahre das Kiem-Pauli-Singen am letzten Adventsonntag in der Kreuther Kirche statt.

 

Zum 100. Geburtstag schrieb Herzog Albrecht von Bayern:
Am 25. Oktober 1982 werden es 100 Jahre seit der Kiem Pauli geboren wurde. Das erste Mal habe ich ihn gesehen und gehört, wie er den Soldaten im Ersten Weltkrieg in Frankreich vorgesungen hat. Ich war damals ein Bub bei meinem Vater zu Besuch, weil er sich keinen Urlaub nehmen konnte.
Nach dem Krieg war der Kiem Pauli oft auch mit Ludwig Thoma beim Bruder meiner Mutter in Kreuth. Er hat damals im berühmten Trio "Reiter-Holl-Kiem" gesungen und gespielt. Durch ein Magenleiden, das er im Krieg bekommen hatte, wurden zwei Operationen notwendig, und da er nach der zweiten nicht mehr jeden Abend das anstrengende Singen und Spielen mitmachen konnte, ist er dann von Tegernsee ganz nach Kreuth übersiedelt. Er hat dann bei uns gewohnt, wo er die Ruhe gehabt hat, sich ganz auf das Sammeln der Lieder und Volksmusik sowie auf deren Wiederbelebung zu verlegen.
Was er auf diesem Gebiet geleistet hat, darüber braucht man kein Wort zu verlieren; das ist bekannt genug. Was er aber gewollt hat, soll in seinem Sinn anläßlich dieses Jahrestages wieder in Erinnerung gebracht werden. Nachdem der Pauli bei uns gelebt hat, weiß ich, daß er, wenn er heute noch leben würde, sehr glücklich darüber wäre, daß die Saat, die er gelegt hat, so gut aufgegangen ist, und das heute wieder viel mehr gesungen und musiziert wird, als damals in den zwanziger Jahren. Aber vieles daran würde ihm gar nicht gefallen. Was der Pauli gewollt hat, ist, daß unsere bodenständige Volksmusik nicht durch internationale Modemusik verfälscht und verdrängt wird, und schließlich verloren geht. Sein Wille war, sie wieder zu beleben, so daß das Landvolk wieder Freude daranbekommt, für sich selber singt und musiziert, und nicht als Darbietung für ein Publikum! Die Volksmusik auf dem Podium hat er nicht gern gesehen, außer als Hilfsmittel zu diesem Zweck, wie bei dem unvergeßlichen Preissingen in Egern. Ganz scharf und hart hat der sonst so gutherzige Kiem Pauli werden können, wenn er gemerkt hat, daß mit der Volksmusik ein unsauberes Geschäft gemacht werden sollte. In dieser Beziehung war der Pauli unerbittlich streng. Sein Charakter war eben sauber, offen, grad und furchtlos, wie auch seine Haltung in unseren finstersten Zeiten bewiesen hat.
Wenn heute sein Andenken gefeiert werden soll, so am besten indem man seinen Wunsch erfüllt und dafür sorgt, daß Sänger und Musikanten nachwachsen, die unter sich und aus Freude musizieren in Vielfalt, jeder nach seiner eigenen Art und seiner Gegend, und die nicht alle den gleichen, gerade gefeierten "Star" nachmachen wollen. Und vor allem: Volksmusik soll vom Volk aus und für das Volk da sein, und nicht als Attraktion und Geschäft für ein sensationslüsternes Publikum gemacht und mißbraucht werden.
Herzog Albrecht von Bayern

 

Literaturnachweis:
Oberbayerisches Preissingen von Sepp Eibl, Rosenheimer
Kiem Pauli - Leben im Kreuther Tal - Bezirk Oberbayern 1992
Kiem Pauli - Leben und Sammelwerk - Bezirk Oberbayern 1987

 

Die Musik in den bayrischen Bergen 1873 - von Karl Stieler
Wenn wir die Charakterzüge des bayrischen Südens betrachten, so tritt uns einer vor allen anderen entgegen: das ist die Vorliebe, die der Hochländer für alle Melodie hat. Der Alte, der in seiner Austragsstube kauert, pfeift sich sein Liedl, und der kleine Enkel, der von dem hohen Berggehöft zur Schule herunterklettert, hat auch das seine. Wenn der Knecht am Abend vor dem Haus sitzt und mit hallendem Hammer die Sense dengelt, so begleitet er die schneidige Waffe mit seiner schneidigen Weis; wenn der Hüterbub die Herde heimtreibt, tönt über die kühlen, taufeuchten Matten sein heller Jodler. In aller Arbeit klingt ein Stück Melodie hinein; während die Hände belastet sind, ist die Seele doch befreit. Man wird natürlich heutzutag ausgelacht, wenn man das alte, ehrliche Wort zitiert; daß böse Menschen keine Lieder haben, und deshalb wollen wir auch dies Kapitel beiseite lassen, aber etwas wahres bleibt eben doch daran. Denn diese Lust zum Sang, dies leichte Finden der Melodie, ja, dies Bedürfnis nach hellen Tönen ist doch der schlagenste Ausdruck für die unbezwinglich-frische Lebenskraft, die in unserm bayrischen Hochland waltet, für den Drang nach Freiheit, der dort in allen Herzen pocht, für den Frohsinn, der sich trotz aller Mühsal erhalten hat.

Die gestrengen Herrn vom Amt, die vor Zeiten gar schlimm in unseren Bergen hausten, sahen freilich mit grämlicher Miene auf diese Singerei, ihr Streben war ja darauf gerichtet, den verwegenen Geist, der dort regierte, zu beugen, und sie witterten wohl, daß in diesen Jodlern und Almenliedern noch ein ganz anderes Geheimnis stecke, als das musikalische ABC. Sie fühlten mit einem Wort das schaffende Kulturelement, das in den Liedern eines Volkes liegt; sie merkten, daß das ein heimlicher Ersatz für die verpönte Redefreiheit sei, und meinten, man könne unmöglich so lustig und dennoch brav sein! Darum erhoben die Gestrengen bald einen systematischen Krieg gegen Zither und Fiedelbogen, gegen Ländler und Schnaderhüpfel. Noch bis zum Beginn dieses Jahrhunderts ward allen Musikanten, die nicht in diesem Amtsbezirk ansässig waren, der Eintritt in denselben verboten; wer sich gleichwohl einschlich, mußte für jeden Tag fünf Kreuzer Strafe zahlen. Die Eingeborenen aber wurden wie Spitzbuben unter strenger Aufsicht gehalten und durften kein anderes Instrument berühren, als das eine, für welches sie ihr Patent besaßen; das sträfliche Tanzen, Springen und Juchezen aber ward völlig untersagt. Man nannte solche Gewohnheiten im Amtsstil eine Insolenz.
Doch selbst in neuester Zeit ward nach diesem System fortgefahren, noch vor 20 Jahren boten sich Pfarramt und Landgericht die Hand, um der kecken Singerei ein Ende zu machen. An manchen Orten, wie z. B. in Bayrischzell, das als die Hochschule der Jodler galt, ist dies auch gelungen, im ganzen aber führte das Mittel nur selten zum Ziel. Es war wohl im Wirtshaus und vor dem Kammerfenster ein wenig stiller, aber man hatte ja die weiten Berg, die grünen Almen: Den stockfinstern Wald, Wo´s Jodeln schön hallt. Und wenn auch dem Herrn Landrichter die Trutzgesangeln verhaßt waren, dem Dirndl waren sie um so lieber; kurzum, die Jungen sorgten, daß es beim Alten blieb.

Zum Dirndl auf d´Alm / Bin i oft auffi grennt,
Und da hats mi von weit scho / Am Juchezen kennt.
Und bal i amal stirb, stirb, stirb, / Spielts mir an Landler auf,
Na tanzt mei Seel, Seel, Seel / Pfeilgrad in Himmel nauf.

Das populärste Instrument im Gebirg ist offenbar der - Schnabel; den hat jeder bei sich, den läßt man singen, wie er gewachsen ist. Und er macht von diesem Recht reichlichen Gebrauch, zwanglos klingt das Lied ins Weite, die Leute lernen es nicht, es geht von selber - weil´s von Herzen geht. Die meisten lassen es dann auch bei dieser Vokalmusik bewenden, die sich vom einfachen Juhschrei bis zu den gefährlichsten Koloraturen ausdehnt; aber trotzdem haben sich doch auch alle möglichen Instrumente im bayrischen Gebirg eingeschlichen, ja manche sind sogar die eigene Erfindung der Berge.

Wer sonntags auf den Chor einer Dorfkirche steigt, der findet schon ein ganz respektables Orchester, in dem sich beleibte Kontrabässe und dicke Trompeten breit machen, auch ein Waldhornsolo bricht häufig aus dem Hinterhalt. Die Fiedel ist so populär geworden, daß fast in jedem Ort fünf bis sechs Personen dieselbe geläufig spielen, und Mittenwald, das braune, verwitterte Bergdorf, das unter den Felsen des Karwendels liegt, ist weit berühmt durch seine Geigenmacher. Das Holz dazu wird aus dem Gebälk der ältesten Häuser genommen, die schon über 500 Jahre stehen, an denen Kaiser Ludwig der Bayer vorüberritt, wenn er zur Bärenjagd in die Berg zog. Daß man von Heimgeigen spricht, wenn man jemand tüchtig abgefertigt hat, zeigt am besten, wie nah dieser Begriff dem Bewußtsein der Leute steht, aber das eigentliche, nationale Instrument war doch die Fiedel nie, sondern das sind Zither und Schwegelpfeife. Diese beiden sind die Träger und die leibhaftige Verkörperung all´ jener heiteren Jodler, sie sind die eigentliche Hausmusik der Berge. Nur der Vollständigkeit zuliebe soll noch die Mundharmonika genannt werden, die freilich im Range sehr zurücksteht. Eine Guittarre sieht man beiden eigentlichen Eingeborenen nur selten, das Klavier gucken sie vollends an wie die Wilden. Was ist denn dös für a groß Kanapee? frug mich ein Tegernseer Bauer ganz erstaunt, als er zum ersten Mal einen Flügel sah. So muß sich der freundliche Leser denn wohl mit einer etwas bescheidenen Auswahl begnügen, denn in der kleinen Bauernstube, in die unser Bild uns führt, schlagen Nagelschuhe den Takt; da gibts nur Länderweisen, keine Symphonien. Wems nicht recht ist, der soll draußen bleiben, die johlenden Paare da drinnen könnens auch ohne seiner. Das ist das echte Zitherspiel, wie es der braune Kerl da treibt, das sind die tichtigen Lädler, bei denen die Beine unter dem Tisch von selber unruhig werden. Schaut nur, wie ihm der Übermut aus den Augen lacht, wie die halbgeöffneten Lippen das rechte Wort erhaschen.

Unds Dirndl, die draht si gern, / Müd kunnts halt gar nit wern,
Wenn i fünfzehnmal möcht, / Is ihr sechzehnmal recht.
Und die richtigen Dirndl / Dös san halt die kloan,
Die wickeln sich gar a so / Umi um oan.
Und in meiner Revier / Da ghört jeder Hirsch mein,
Und es wird mit die Dirndln / Scho auch a so sein.

Und wie keck, wie landlerisch klingt erst die Melodie zu diesen Weisen! Es meint wohl mancher, er hätte echte Ländler gehört, weil er einmal jener Menschenrasse in die Hände fiel, die sich Alpensänger nennen, aber die 2echten, die lassen sich nicht exportieren, die gehen auf dem Transport zugrunde wie Alpenrosen, die man nach Berlin schickt. Selber pflücken heißt es da. Bei den großen Festlichkeiten des Jahres, am Kirchweihtag, bei Hochzeiten und Jahrmärkten, dominiert die Geige, wenn es zum Tanzen geht, und hier schleichen sich auch schon bisweilen moderne Walzer ein, im Wirtshaus aber, an den Sonntagnachmittagen oder in den Bauernhäusern, wenn es Feierabend ist, herrschen unumschränkt die Zither und der Ländler. Geh, Hansei, mach oan auf! heißt es von allen Seiten, wenn sich ein Kundiger im Kreis befindet, und ohne sich zu zieren, wie es Virituosen ziemt, greift der Hansei in den Rucksack und holt sich sei Musi. Dann kommt mit einmal ein neuer schneidiger Zug in das bunte Treiben, der eine fällt mit einem Trutzlied drein, der andere hat schon die Antwort auf den Lippen, und der dritte faßt schon die G´sellin, die eben an ihm vorübergeht, beim Mieder. Im Hui ist die rauhe Diele zum Tanzboden verwandelt. Oan noch, oan noch, tönt es von allen Seiten, sowie der erste Landler zu Ende ist, und wenn dann ein tiefer Trunk geschehen, beginnt der Spektakel aufs neue, bis etwa die Saite springt und der Hansei flucht: Herrgott-Element, eh wars E a und jetzt is A aa a

Der Bauer sagt nicht leicht Zitherspielen, viel lieber ist ihm das prägnantere Wort Zitherschlagen, in Landler abizupfen, abischleifen und wenn alles drunter und drüber geht, ein abireißen. Noten sind nur den wenigsten bekannt - die Hennafüß, die Schwollköpf mag i nit. Natürlich spielt auch die Musik auf den Almen eine große Rolle; der Juhschrei ist nicht bloß ein Pläsier, wie die Herren von der Stadt meinen, sondern es ist das mächtigste Mittel, worüber die Sennerin gebietet. Dem Verirrten dient er zum Führer, er ist der Ruf nach Hilfe und das Zeichen der Freude, er ist der Telegraph in diesen einsamen, weitschichtigen Regionen, wo sich die Menschen ja viel leichter mit dem Gehör als durch das Gesicht entdecken. Eine Sennerin, die nicht juchezen kann, ist nahezu unmöglich, und selbst diejenigen, die schon der reiferen Jugend angehören, bei denen man kaum vermutet, daß sie noch so verwegen auf der Tonleiter herumklettern, sind nicht davon dispensiert. Nur wenn ein Unglück passiert ist, wenn die Mutter gestorben oder der Liebste untreu geworden ist, dann verstummt jeder Juhschrei, und alle Versuchung mag es nicht, ihn hervorzulocken. Dieselbe Empfindung, die uns Städtern in Trauerfällen jeden lärmenden Laut verbietet, herrscht unbewußt auch dort; es ist gleichermaßen die form der Trauer, die in den Bergen herscht. Zum Unglück auf den Almen aber gehört auch jedes Mißgeschick, das der Herde begegnet; die Tiere sind dort oben nicht etwa Sachen sondern Personen, jedes hat seinen Namen und seine Geschichte, und es hat mich oft als Naivität gerührt und die Klugheit gewundert, womit die Sennerinnen jedes nach seiner Eigenart behandeln. Wenn sich ein Kalb erstürzt oder dergleichen, so ist dies nicht bloß ein Schaden, sondern ein Herzenskummer, und wie sie es nicht wagen würde, nach einem solchen Unglücksjahr die Herde zur Heimkehr zu bekränzen, so wagt sie es nie, in einem solchen Sommer auch nur einen Juhschrei zu versuchen. Es steckt zuviel Lebensfreude, zu viel laute Kraft in diesem Ruf, als daß er sich für belastete Herzen schickte.

Der Juhschrei ist ein einziger, aber reichgeliederter Klang, das lange Trällern in hohen Jodeltönen nennt man galmen. Hier wird bereits ein bestimmtes musikalisches Thema variiert, aber immer noch sind es Lieder ohne Worte. Dann erst, in dritter Reihe kommt der Almensang, der der Stimmung nicht bloß durch Melodien, sondern auch durch Worte Ausdruck leiht, bald in de schneidig-knappen Form des Schnaderhüpfels, bald in der lyrischen Weise unseres deutschen Liedes. Zu beiden Sangesweisen ist die Zither und Schwegelpfeife das rechte begleitende Instrument, und wer die beidn gut zu spielen weiß, der ist bei den Dirndln noch einmal so hoch geschatzt als ein stummer Geselle. Solche Lieder gibt es in zahlloser Menge; sie tauchen aus der Laune des Augenblicks hervor und fallen wieder in die Vergessenheit zurück; manche aber sind hundert Jahre alt, doch die meisten werden alle Zeit auf den Almen und über die Almen gesungen. Ja, die Almen mit ihrem grünen Parterre und ihren Felsenkulissen, mit ihren samtgrünen Sitzen und ihrem mächtigen Wolkenvorhang, sie stellen doch die eigentliche Bühne für das musikalische Talent unseres bayrischen Hochlandes dar. Kein anderes Haus der Welt ist so akustisch gebaut wie sie, und jeder, der da will, hat freien Eintritt, wenn auch bisweilen der Aufgang etwas unbequem ist. Ohne die Almen gäbe es schwerlich jenen fröhlichen Gesang, der jetzt ein Schmuck und ein tiefer Charakterzug des bayrischen Bergvolks ist: sie sind es, die dem Wanderer faßt unbewußt das Wort aus der Seele locken und seinen Gedanken zum Ton gestalten. Wir merken es ja an uns selber, wenn wir so hoch im Blauen über den steilen Grat hinziehen und dann an einem Felsenvorsprung still stehen und tief hinein in Berg- und Wäldermassen blicken, wie es uns da verlockt, etwas ins Weite hinauszurufen. Selbst der gemessene Philister kann es sich schwer versagen, ein ungeschlachtetes Hoi-didel-dum herauszustolpern, selbst der Berliner unternimmt das Wagestück und jodelt in solchen Augenblicken - daß es Stein erweichen könnte. Man kann, mit einem Wort, nicht still sein; wie muß es denen von den Lippen fließen, denen wirklich Gesang gegeben ist. Die Eingeborenen wissen es wohl, was sie in diesem Sinn ihren Bergen schuldig sind, fast all´ die schöneren Gipfel haben ihr eigenes Loblied; überall werden die Almen und der Almengesang gefeiert. Der beste Tag ist der Samstag. Das ist der wahre jour fixe für alle Konzerte, denn da steigen die Bursche (damals die Bursche, statt der heute üblichen Burschen), wenn es mit der Arbeit vorbei ist, hinauf, um ihr Schätzlein aufzusuchen. Der Hüterbub, die Sennerinnen aus den Nachbarhütten und das lustige Feuer sind Gesellschaft genug, um bald das Leben zur lauten Lust zu entfachen und das Bild aus der Erde herauszustampfen, das Defregger den Ball auf der Alm genannt hat.

Und am Samstag, verstehst mich, / Da kimmt auch mein Bua,
Und er jodelt so fein / Und schlagt Zither dazua.

Freilich kommt er zum großen Leid nicht immer, und gar oft, wenn er kommt, dann mag er nit

Geh, mei Hansei, nimm dei Pfeifen (Schwegelpfeife), / Tu mir etwas abaschleifen (aufspielen),
Geh, mei Hansei, wenn i dich bitt! / Na, mei Gredl, heut schleif i dir nit.

Da aber wird es selbst dem Schatz zuviel, denn in den Bergen gilt der Satz: Unser Mutter hat uns ja nit grad für an einzigen aufzogen. Trotzig ruft sie dem schweigsamen Hansei die Worte nach:


laßt es bleiben, / Plag di nur nimmer mit´n Auffisteigen;
Glaub nur net, daß i di nochmal bitt, / So a Bübei - das taugt mir nit.

Also Krieg und Friede wird musikalisch in Szene gesetzt, Festtag und Werkeltag haben ihren eigenen Klang, und wenn wir in später Abendstunde durch ein Bergdorf wandern, wenn nur mehr ein einziges Fenster am Wirtshaus erleuchtet ist, so schallt doch durchs Fenster noch eine bekannte trillernde Melodie; die letzten zecher, die sich längst von aller Polizeistunde emanzipiert haben, sitzen hier beisammen; sie disputieren nicht mehr, sondern sie singen. Und selbst der allerletzte, der das verschlafene Haus verläßt, jodelt sich noch langsam heim und trällert seinem Gewissen einen beruhigenden Monolog:

Vom Bürschlinger-Hansei / Wird alleweil gredt,
Doch ma redt bloß vom Saufen, / Vom Durst redt ma net.

Wie manche ausgelassene Stunde, wie manchen hellen Sommerabend hab ich im Kreis solcher jodelnden Holzknechte verbracht am Königssee, an der Wurzelhütte, in der Kaiserklause; das dumme Zeug, das wir dazumal den Lüften anvertrauten, hat doch kein Verstand des Verständigen übertroffen. Dann aber, als die tollen Studentenjahre verwichen waren, trat ich als ehrsamer Praktikant in irgendein Landgericht, natürlich ein solches, das zwischen den hohen Bergen liegt. Oh, ich kenne Sie schon, sprach der Chef desselben mit würdevoller Stimme, Sie sind mir bereits vor zwei Jahren angezeigt worden wegen Absingens sehr bedenklicher Schnaderhüpfeln. Und als die Tage wuchsen, als ich in den hohen Aktengestellen allmählich ebenso vertraut war als in den Felsen des hohen Wallbergs, da fiel mir einmal ein finsterer Bericht in die Hände, wo es leibhaftig im Gendarmenstil geschrieben stand, daß beim -wirt eine Singerei von Holzknechten und andern ledigen Burschen stattgefunden habe, die fast an Ruhestörung grenzte: der Tonangeber und Rädelsführer aber war ein gewisser, der Polizei bisher ganz unbekannter - Karl Stieler.